Eine Rarität ist jede Hoffnung wert
Jagdgeschichten

Eine Rarität ist jede Hoffnung wert

Text & Bilder Ales Maxa

Der Frühling ist wieder da - und damit auch eine neue Jagdsaison für uns Jäger. Die Natur erwacht langsam aus ihrem Winterschlaf, aus grau wird grün, überall wird neues Leben geboren. Die langen winterlichen Nächte werden endlich kürzer, die Tage endlich länger, wärmer und sonniger.

Und schon steht sie vor der Tür: die neue Bocksaison! Was wird sie bringen? Wie ist der Rehwildbestand über den Winter gekommen? Gibt es Stücke, die ihn nicht überlebt haben? Welche Böcke kommen in Anblick? Erkennen wir die vom letzten Jahr wieder? Wie viele Kitze fallen den Kreiselmähern zum Opfer? Und wie wird die Blattzeit ablaufen? Und… was haben wir an Böcken frei? Es sind viele Fragen, die man am Anfang einer neuen Saison hat. Und was kommt? Wir wissen es noch nicht, aber gerade das ist ja auch das Schöne daran.

Die Geschichte, die ich Ihnen diesmal erzählen werde, ist schon einige Jahre her. In unserem südböhmischen Revier haben wir nicht gerade viele Rehe, die Qualität ist auch nicht gerade gut. Seit ein paar Jahren arbeiten wir daran, sie zu verbessern – wir füttern mit Schrot hoher Qualität, sehr gutem Heu und getrockneten Brennnesseln, ja sogar jungen Himbeersprossen. Die Ergebnisse sind noch nicht erkennbar, aber wir hoffen, dass sie kommen werden. Würden wir es nicht probieren, würden wir nie erfahren, ob wir dem Rehwild überhaupt helfen können.

Damals hatte ich nur einen Jährling frei, die beiden Altböcke unseres Revieres wurden von meinen Kollegen ausgelost. Doch einer von ihnen ist nicht gerade oft im Revier, seine Chancen auf eine Erlegung waren nicht gerade hoch. Sollte er es bis Ende August nicht geschafft haben, würde dieser Bock für andere Jäger unserer Jagdgemeinde frei werden. Wir waren also alle gespannt.

Bald schon kam der Mai und ich verbrachte Morgen- und Abendpirschen im Revier, um einen Abschuss-Jährling zu finden. Einige Wochen blieben ohne entsprechenden Anblick, gab es überhaupt noch welche im Revier? Oder hatten sie den langen, kalten und schneereichen Winter nicht überlebt? Keine Ahnung. Auch meine Kollegen hatten bis jetzt kein Glück mit Jährlingen gehabt, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich nie und ich versuchte es wieder und wieder.

Wieder war Wochenende, wieder standen zwei Abend- und zwei Morgenpirschen an. Der Freitagabend verläuft ohne den ersehnten Anblick – „nur“ vier Stück Damwild. Und dann der Samstagmorgen und damit ein großes Dilemma: Entweder Pirsch im Wald, wo frühs immer die Sauen von uns zu den Nachbarn ziehen, oder aber auf einer Wiese oder einem Feld auf Rehe ansitzen – was sollte ich wählen? Diesmal gewannen die Sauen. Es war wirklich unglaublich, aber ich hatte einige Wechsel entdeckt, auf welchen die schwarzen Ritter wirklich jeden Tag in der Früh aus unserem Revier auszogen. Und weil die Nächte kürzer wurden, passierte es regelmäßig, dass die Rotten auch beim ersten Tageslicht noch zogen. Und sie bei vollem Licht in Anblick zu bekommen, das ist wirklich immer etwas Besonderes.

Es ist noch ziemlich dunkel, als ich aus meinem Auto steige. Ich pirsche langsam und sehr vorsichtig, regelmäßig kontrolliere ich den Wald mit meinem Fernglas. Doch es ist noch zu dunkel, also verlasse ich mich eher auf mein Gehör. Schon bin ich an dem Platz, an dem ich meistens erst einmal abwarte, hinter einer großen Fichte. Langsam wird es heller, die Vögel beginnen, ihr tägliches wunderschönes Konzert zu singen, die Akustik ist wie in einer Kathedrale – in der Kathedrale der Natur. Komisch ist nur, dass ich bisher noch keine Sauen gehört oder gesehen habe! Das wundert mich, es ist Mitte Mai – seit zirka Mitte März war ich hier jedes Wochenende, meistens zweimal, am Samstag und Sonntag, und jedes Mal, ich wiederhole: jedes Mal hatte ich sie in Anblick bekommen, aber nicht immer bin ich zu Schuss gekommen. Egal, schon der Anblick der schwarzen Ritter bei Tageslicht ist manchmal mehr als Waidmannsheil.

Ich will schon packen, als ich vor mir einen Ast brechen höre. Ich kontrolliere die Richtung mit meinem Fernglas. Na also, da ziehen sie! Fünf Überläufer kommen langsam zu mir, ab und zu halten sie an und brechen im Waldboden, um saftige Würmer zu suchen. Schon liegt meine Büchse im Dreibein, ich suche nur noch das passende Stück in der passenden Position. Jetzt dreht sich ein Stück mehr zur Seite und mein Zeigefinder berührt den Abzug meiner M03. Der Überläufer bricht zusammen und bleibt im Feuer liegen, die restlichen Stücke verschwinden schnell in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Uff… Jetzt kommt das Jagdfieber auf! So ein Morgen, gekrönt mit einem Waidmannsheil! Es lohnt sich immer, in der Früh aufzustehen! Jetzt kommt meine Kamera an die Reihe, das ist bei mir auch schon ein Muss.

Damit habe ich in diesem Jahr schon das sechste Stück bei der Morgenpirsch erlegt, es ist wirklich unvergesslich, was die Saison in diesem Jahr bringt. Aber was erlebe ich noch mit Böcken? Das weiß wahrscheinlich nur St. Hubertus.

Eine weitere Arbeitswoche ist vorbei und ich schmiede meine Jagdpläne für das neue Wochenende. Am Freitagabend sitze ich an einer großen Wiese, über die immer wieder einige Böcke ziehen. Doch diesmal habe ich keine in Anblick bekommen. In der Früh werde ich es in einer anderen Ecke unseres Revieres probieren. An einem kleinen Teich ist auf einer Seite ein Kleefeld, auf der anderen Wiese und wieder ein Feld mit Klee – das könnte attraktiv für Rehe sein. Eine kleine Leiter steht im Schilf des Teiches. Links ist noch eine Remise, aus der oft das Rehwild zum Kleefeld auszieht. Ich bin spät dran heute und es ist schon hell, als ich es mir auf der Leiter bequem mache. Zum Glück steht noch kein Wild in der Wiese oder auf dem Feld. Langsam kommt die Sonne hoch, es wird wärmer und zirka 100 m links von mir ziehen 10 Stück Damwild auf den Klee. Ich greife zu meinem Fernglas, um die Stücke anzuschauen. Doch auf einmal sehe ich, dass ein Stück Reh zwischen mir und dem Damwild zieht - ein Abschussjährling! Ist sowas möglich? Ich hatte in diesem Jahr schon mehrmals hier angesessen, doch nie habe ich dieses Stück in Anblick bekommen. Schon habe ich den Bock im Zielfernrohr. Ich muss schnell sein, weil er weg von mir zieht, ich sehe nur seinen Spiegel.

Bitte, dreh‘ Dich ein bisschen zur Seite! Hat er mich gehört? Oder war es St. Hubertus, der meine Bitte erhört hat? Der Bock dreht sich ein und äugt in die Richtung vor ihm. Der Schuss donnert durch den so stillen Morgen und der Bock bleibt im Feuer! Manchmal passiert es einfach, man sieht Böcke auf Plätzen, an denen sie vorher nie waren. Ja, es stimmt auch, dass dies eher bei jüngeren Böcken vorkommt, die vorher oft von den älteren vertrieben wurden.

Die Saison geht weiter, ich genieße die Schönheit der Blattzeit nur mit Fernglas und Kamera. Normalerweise ist diese Zeit ein Höhepunkt der Bocksaison, doch bei mir war es in diesem Jahr nicht so.

Es ist Mitte August, die Blattzeit ist fast vorbei und ich fahre durch das Revier mit meinem Freund, der zwar kein Jäger ist, aber der die Natur und besonders Südböhmen liebt. Auf einer Wiese sehen wir einen Bock mit einer Gaiß, die er noch ab und an treibt. Ich falle fast rückwärts um, als ich den Bock im Fernglas sehe: die rechte Stange ist kurz über den Rosen abgebrochen und hängt runter bis zum Licht! „Ist sowas normal?“ fragt mein Freund. „Nein, das ist nicht normal, das ist eine Rarität!“ sage ich und erkläre ihm, wie unterschiedlich die Böcke sind und was passiert, wenn ihr Gehörn im Wachstum irgendwie mechanisch beschädigt wird.

Das alles ist schön, doch jetzt verstehen Sie sicher, wie meine Gedanken waren. Ich, als Vorsitzender unserer Jagdgemeinschaft, wusste natürlich, dass bis jetzt ein freier, älterer Bock noch nicht erlegt wurde. Und das gerade von einem Jäger, der in diesem Jahr vielleicht ein- oder zweimal im Revier war. Hat er es in zwei Wochen auch noch nicht geschafft, könnte ich auf diesen Bock jagen... Die restlichen zwei Wochenenden im August war ich unterwegs verplant. Also erst abwarten, dann sehen wir, was kommt. Trotzdem rufe ich den Jagdkameraden noch an und erzähle ich ihm, wo genau ich diesen interessanten Bock gesehen habe.

Der September ist da und damit auch die Information, dass ein Bock immer noch frei ist! Am Freitag schaffe ich es zeitlich nicht mehr, ins Revier zu kommen. Also beginnt meine Jagd auf diesen Bock am Samstag in der Früh! Leider steht keine Kanzel oder kein Hochstand in der Nähe des Platzes, wo ich ihn in Anblick bekommen hatte. Ich entscheide mich, in der Nähe der Wiese zu pirschen. Ich hatte ihn am Ende der Blattzeit gesehen, das heißt, er kann inzwischen ganz woanders stehen. Und zu allem Überfluss verlaufen in der Nähe Bahngleise, auf denen leider wirklich viele Stücke aller Wildarten verenden.

Ohne Versuch werde ich aber nie erfahren, wo er jetzt steht. Wiese, Stoppelfelder, Wiese, Waldrand. So geht es immer weiter, immer pirsche ich kurz, dann setze ich mich auf den Boden und warte. Immerhin einige Stücke Damwild habe ich in Anblick bekommen – aber was nun? Die Sonne steht schon ziemlich hoch, als ich mich entscheide, zurück zum Auto zu pirschen. Nicht weit davor kontrolliere ich den Waldrand – und sehe einen Bock! Und zwar MEINEN Abnormen! Er steht gerade am Waldrand und äst dort Gras. Gut - wie weiter? Ich versuche, hinter einer Bodenwelle versteckt weiter zu pirschen, dann über einen Feldweg, der direkt in den Wald führt, an dessen Rand der Bock äst. Der Wind sollte passen und der Bock auf mich zu ziehen.

Alles klappt bestens, noch vom Feldweg aus sehe ich ihn, er steht noch am gleichen Platz. Super! Ich bin schon im Wald, hinter einem Baum versteckt, und warte, in welche Richtung mein Bock zieht. Ich habe aber nicht eingeplant, dass er sich wie ein Geist bewegen kann! Urplötzlich steht er zirka 10 m vor mir und äugt mich exakt an! Was jetzt? Der Pirschstock steht vor mir, ich versuche, die Büchse hoch zu heben. Der Bock wartet das aber nicht ab, springt davon und verkündet mir durch sein Schrecken höhnisch, dass ich für heute verloren habe.

Den ganzen Tag habe ich dann damit verbracht, den besten Plan für die Abendpirsch auszuhecken. Es geht aber nicht besser, ich muss den gleichen Weg nehmen, um am besten zu diesem Platz zu gelangen. Langsam pirsche ich los. Hinter einem Rain nähere ich mich dem Waldrand, wo er in der Früh stand. Ich habe geplant, dass ich dort versteckt warten werde. Ich kontrolliere noch das Feld rechts vor mir, keine Stücke sind draußen, also entscheide ich mich, kurz über das Feld zum Waldrand zu gehen. Auf der Hälfte der Strecke zum Wald - ich weiß nicht, woher er gekommen ist! - steht urplötzlich mein Bock und äugt schon wieder direkt zu mir! Ich lege mich sofort auf den Boden, mit meinem Rucksack unter der Büchse. Der Bock ist aber schon sicher, dass dort ein Unhold in seinem Revier liegt, vielleicht sogar derselbe, der ihn schon heute in der Früh erschreckt hat. Er beginnt zu schrecken, immer spitz zu mir, Distanz 150 oder vielleicht 170 m. Ich suche mir eine gute Position für einen sicheren Schuss. Doch der Bock wartet nicht so lange ab, springt zur Seite - und bleibt aufs Blatt stehen! Nach dem Schuss weiß ich sofort, dass ich nicht gut abgekommen bin. Der Bock springt unverletzt ab und macht mir schreckend klar, dass er schon wieder gewonnen hat!

Oder stirbt die Hoffnung wirklich nie? Bis heute habe ich das Folgende nicht verstanden: neben dem Feld liegt eine Wiese, wo er auf einmal stehen bleibt - und zu äsen beginnt. Alter Schwede! Das kann doch nicht wahr sein? Kriechend nähere ich mich dem Wald und plane, hinter den Bäumen zum Bock zu pirschen. Es passt und ich komme immer näher und näher. Plötzlich verhofft er in meine Richtung, ich fühle mein Herz im Hals schlagen. Mein Puls steigt. Der Bock äst wieder und ich mache weitere 20 Meter, er steht jetzt auf 80 m vor mir. Mein Dreibein steht, meine Büchse ist vorbereitet und ich sehe ihn im Fadenkreuz. Der zweite Schuss auf diesen Bock beendet sein Leben Er hat doch noch einen großen Fehler gemacht, der ihn sein Leben gekostet hat. Ich stehe bei ihm, bewundere die besondere Trophäe dieses älteren Bockes und spiele die vergangene Jagd im Kopf immer wieder ab. Als ich mir diese Rarität anschaue, ist mir klar, dass ich mir in diesem Fall eine Schultermontage machen lassen werde!

Die neue Bocksaison klopft langsam an die Tür. Ich wünsche Ihnen in Ihren Revieren viele unvergessliche Momente mit Rehwild, mit diesem wunderschönen Wild, dessen Variabilität es zu einem Schönling unserer Natur macht. Waidmannsheil dafür!


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