Mein erstes Mal
Jagdgeschichten

Mein erstes Mal

Text & Bilder Carola Rathjens

Wie eine Schlange züngelt Rauch aus der Mündung meiner Waffe, so als ob man ein Feuer entzündet hätte und der erste kleine Rauch langsam empor steigt. Es ist ganz still, fast glaube ich zu hören, dass ich nichts mehr höre, keinen Vogel, kein Insekt, einfach nichts. Die letzte Sonne des Abends glitzert über die Baumwipfel. Ich starre aus dem Fenster des Hochsitzes in die Richtung, in die ich gerade geschossen habe. Tränen laufen mir über das Gesicht.… Es war mir immer klar, dass ich eines Tages einen Jagdschein machen würde. Zu prägend waren die Erinnerungen mit unserem Vater: auf dem grünen Mofa, auf dem Gepäckträger sitzend, über die Allee rumpelnd die Kirrungen abfahren, der Wind in den Haaren und stolz wie ein Honigkuchenpferd, wenn Papa abends seine Beute vor dem Kinderzimmerfenster Strecke legte.

Mein „zu Hause zuhause“ lag zwischen Bremen und Hamburg in Niedersachsen. Meine Großeltern kauften dort einen landwirtschaftlichen Betrieb am Ende des Nichts und übergaben ihn später an meine Mutter.

Aufgewachsen bin ich also gemeinsam mit meiner jüngeren Schwester in einem Paradies, einer Idylle und einer spektakulären Freiheit. Die Frage nach unserem Pläsier bzw. unseren Spielmöglichkeiten stellte sich unserer Mutter nicht, sie machte morgens einfach die Tür auf und ließ uns gewähren.

Wir hatten eigene Ponys, zudem gab es genügend weitere Tiere, die wir umsorgen konnten und Platz! Was wir vor allem hatten war Platz. Soweit die Füße trugen, alles war Abenteuer!

Mit den Tieren gehörte auch Leben und Sterben früh zu unserer Normalität. Es wurden Fohlen, Kälber und Ferkel geboren und manche starben. Das war traurig, aber es wurde nichts vor uns verborgen gehalten. Ebenso das Tiere so schlimm krank sein konnten, dass der Tierarzt sie erlösen musste. Für uns war das ein Kreislauf. Ein neues Leben kam und ein altes ging.

Unser Leben und Spiel war geprägt von den Jahreszeiten und den Abläufen der Landwirtschaft. Unsere Mutter, die den Betrieb zu leiten hatte, die Kühe zu melken, den Haushalt zu schmeißen und für die Angestellten und uns zu kochen hatte, hatte entsprechend weniger Zeit für uns als andere berufstätige Mütter. Wir waren also schnell in der Lage uns selbst zu beschäftigen und uns unseren Fähigkeiten nach zu versorgen.

Das Frühjahr nutzten wir, um die Hochsitze zu säubern, denn wenn Papa kam, sollte alles schön sein. Die Wildäcker bepflanzten wir mit Dahlien und Rosen, die wir aus Mamas und Omas Garten ausgegraben hatten. Gern genommen auch Kakteen, Grünpflanzen oder Orchideen vom Fensterbrett. Wir hatten einen ausgeprägten Sinn für das Schöne.

Im Mai durften wir dann gemeinsame Abendansitze mit unserem Vater machen. Natürlich mit Picknick, versteht sich. Die Rehe unseres Reviers mussten Nerven wie Stahl gehabt haben, denn leise war sicherlich anders. Dennoch konnten wir gemeinsam einige Stücke strecken. Die anschließende Stimmung war immer ganz besonders schön und eindrucksvoll.

Im Sommer waren wir viel damit beschäftigt, unsere Mutter mit der Wäsche zu unterstützen. In der Serie „Unsere kleine Farm“, die uns oftmals als Vorbild diente, hatten wir gesehen, wie dort im Bach Wäsche gewaschen wurde. Auch war uns die Waschszene aus „Drei Nüsse für Aschenbrödel“ noch im Gedächtnis. Für uns vollkommen unverständlich, das unsere Mutter diese große Wäsche nicht als Hilfe ansah.

Der Sommer war stark geprägt durch unsere Teilnahme auf Turnieren mit den Ponys. Für ein solches sollten unsere Schimmel natürlich besonders sauber sein, was ja kein Problem war für uns, schließlich kannten wir uns aus mit großer Wäsche! So wuschen wir die Schimmel mit Persil und rieben sie anschließend mit Weichspüler ein, niemand wollte ein borstiges Fell!

Ich wusste, dass die erste Prüfung am Samstag ein Kostümspringen sein sollte und so entschied ich mich, auch das Pony schon mal vorab entsprechend zu dekorieren und zwar als Zebra. Ich wünschte mir seit ewigen Zeiten ein solches, bekam aber nie eins. Egal, an diesem Freitag sollte es soweit sein und weil wir uns ja über die Jahre eine durchaus praktische Veranlagung angeeignet hatten, war die Durchführung des Planes ein Leichtes.

Aus der Werkstatt holten wir die Holzschutzfarbe, die mit Öl und keine-Ahnung-was-noch-alles angereichert war und begannen ein traumhaftes Zebramuster auf die frisch gewaschenen Schimmel zu zaubern. Gerade mit einer Seite fertig, stieß unser Großvater zu unserem Unterfangen hinzu und beendete dies jäh… Fast möchte ich sagen, dass ich ein Traum habe und mir bis heute ein Zebra wünsche - an diesem Tag aber eher eine weitere Hand an der Schermaschine, denn zur Belohnung für unsere gute Idee, durften wir die Ponys noch scheren.

Im Herbst hatten wir jedes Jahr aufs Neue wieder die Idee aus Silomais Popcorn herzustellen. Dieser Aktion fiel jedes Jahr wieder ein Topf zum Opfer. Man könnte meinen, wir hätten aus dem Vorjahr vielleicht gelernt, dass das nicht klappt, aber wir wussten auch, dass es in jedem Jahr eine neue Sorte Mais gab und vielleicht hätte diese ja die gewünschten Pop-Eigenschaften gehabt - man kann ja nie wissen!

Ebenfalls war der Herbst geprägt von Treibjagden. Wann immer es die Zeit zu lies, holte unser Vater uns ab und wir durften ihn zu den Jagden begleiten. Natürlich nicht als Treiber, aber wir durften auf dem Wagen warten und später die Strecke mit legen. Dabei sein war einfach alles!

Im Winter war immer die Versorgung der Wildtiere oberste Priorität. Mit dem Trecker ins Revier unterwegs und manchmal mit einem Schneeschiebeschild die Wege frei zu räumen, Heu zu verteilen und am nächsten Tag an den Spuren zu sehen, dass die Rehe unsere Futterstelle gut angenommen hatten, war eine große innere Befriedigung.

Je älter ich wurde, umso mehr Pflichten ergaben sich. Die Schule musste beendet werden, ein Beruf erlernt bzw. das Studium begonnen werden. Im Hinterkopf blieb immer der Wunsch, endlich einen Jagdschein zu machen, doch wo, wie und wann…Zu einem Jugendjagdschein war es nicht gekommen, da wir einfach zu eingespannt waren mit der Teilnahme an Turnieren und mit der Arbeit auf dem Hof und meine Mutter es zeitlich nicht hätte schaffen können, mich zu den Terminen zu fahren.

So dauerte es bis zum meinem 29. Geburtstag, bis ich endlich an dem halbjährigen Kurs teilnehmen konnte. Die Ausbildung hat viel Blut, Schweiß und Tränen gekostet, viele Kilometer Fahrt, die wir zu den Reviersonntagen unterwegs waren und zum Schießen. Aber ich möchte keine Sekunde, keinen Meter und keinen der Teilnehmer und Ausbilder missen, denn das, was ich seit dem Bestehen des Jagdscheines erleben durfte, gehört zu den besten Dingen in meinem Leben. Jagd bedeutet für mich in erster Linie Liebe zur Natur, Leben mit und in der Natur, Beschaffung von Lebensmitteln und Erfüllung meines Herzens mit Freude. Wie eine Schlange züngelt Rauch aus der Mündung meiner Waffe. So als ob man ein Feuer entzündet hätte und der erste kleine Rauch langsam empor steigt. Es ist ganz still, fast glaube ich zu hören, dass ich nichts mehr höre, keinen Vogel, kein Insekt, einfach nichts. Die letzte Sonne des Abends glitzert über die Baumwipfel. Ich starre aus dem Fenster des Hochsitzes in die Richtung, in die ich gerade geschossen habe. Tränen laufen mir über das Gesicht…Nachdem ich mich wieder etwas gefangen habe, steige ich vom Hochsitz und gehe die 80 Schritt über die Wiese zu meinem allerersten Bock.

Seit jenem Abend sind 15 Jahre vergangen. Natürlich sind seitdem unfassbar tolle Erlebnisse hinzugekommen, viele sogar, von denen ich niemals zu träumen wagte, aber dieser Abend im heimatlichen Revier hat sich für immer in meine Erinnerung gebrannt. Und ich bin noch immer jeden Tag dankbar dafür.


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