Neue Augen – Neues Wissen!
Jagdgeschichten

Neue Augen – Neues Wissen!

Text Max Götzfried

Bis vor drei oder vier Jahren waren Wärmebildgeräte für den Otto-Normal-Jäger noch ein Geheimtipp ausschließlich für die Nachtjagd auf Sauen. Er wurde mehr oder weniger hinter vorgehaltener Hand von schwerhörigem Ohr zu schwerhörigem Ohr weitergetuschelt, als sei das Ganze mindestens anrüchig, auf jeden Fall aber das große, alles vernichtende Wort: unwaidmännisch – aber eben auch, wie heißt es so schön auf Neudeutsch: Leider geil! Inzwischen dürfte sich das Ganze ein Wenig normalisiert und die Gemüter zumindest für reine Beobachtungsgeräte wieder beruhigt haben. Wärmebildgeräte zählen inzwischen zur Standard-Ausrüstung fast eines jeden Jünger Huberti, das Angebot und die verschiedenen Modelle haben sich vervielfacht. Kaum noch kommen mir bei meinen vielen jagdlichen Begegnungen Unbedarfte unter, die wirklich noch nie etwas von dieser technischen Jagdhilfe gehört, geschweige denn solche, die nicht einmal hindurchgeschaut haben. Und davon wiederum ist eigentlich immer und jeder begeistert und überzeugt.

Auch die Anwendungen werden immer varianten- und einfallsreicher, von der reinen Sichthilfe auf Schwarzkittel bei dunkelster Nacht ist man in den meisten Fällen schon lange abgekommen. Viele, viele Neunutzer bekamen im wahrsten Sinne des Wortes schlichtweg neue Augen, haben viel über Wild und sein Verhalten, das eigene Revier und die Bestände darin gelernt. Als Folge davon haben viele auch ihre Art zu jagen umgestellt und sind so um ein Vielfaches erfolgreicher als „früher“ geworden – die enorme Strecke von 830.000 Sauen im letzten Jagdjahr hat sehr deutlich etwas mit technischem Fortschritt, geringeren Anschaffungskosten und fortschreitender Anwendung zu tun, daran kann es nicht den geringsten Zweifel geben. Ich bekomme seit Jahren eine Unmenge von Feedback durch Neunutzer, die mir ihre Erlebnisse erzählen oder schreiben – ausdrücklich KEINER hat seine Anschaffung bisher von Grund auf bereut, wirklich niemand! Der ein oder andere hätte im Nachhinein vielleicht doch lieber ein anderes Modell oder anderes Zubehör genommen, aber im Grunde hält ein jeder den Daumen ganz weit nach oben, fragt man ihn nach seiner Meinung und seinen neuen Erlebnissen.

Ich selbst bin ja nun auch das ein oder andere Mal da draußen in Feld und Wald unterwegs, wie man vielleicht weiß. Seit etwa sechs Jahren ist ein Wärmebildgerät mein ständiger Begleiter, auch tagsüber – denn wenn man sich mal anschaut, was einem die Technik denn wirklich an Neuerungen, Wissen und nicht zuletzt auch Kuriosem bringt, dann ist eine der ersten Erkenntnisse immer die, dass es eben kein reines „Nachtsicht“gerät ist. WBGe arbeiten völlig unabhängig von jedem Licht, sie brauchen es nicht, es hindert sie aber auch nicht, anders etwa als die Geräte, die man landläufig unter „Nachtsicht“ versteht, Restlichtverstärker nämlich. Diese benötigen immer ein wenig Licht, welches man ihnen nicht selten durch mitmontierte IR-Aufheller liefern muss. Bekommen sie durch z.B. ein vorbeifahrendes Auto oder eine versehentliche Anschaltung bei Tageslicht zu viel davon, können zumindest Röhrengeräte auch ernsthaft geschädigt oder gar zerstört werden. Einem WBG ist beides herzlich egal.

So haben mir die Geräte also auch bei vollster Sonne schon enorm geholfen, und sei es nur, um die Spurlautprüfung unserer Brackendame „Otto“ erheblich zu beschleunigen und wirkungsvoller zu gestalten: denn bei entsprechendem Bewuchs, etwa Wintersaat, muss man nicht mehr endlos über die Felder stolpern, um einen der wenigen noch vorhandenen Hasen zu finden – und hat man ihn gefunden, dann ist der Hund, welcher in der Prüfungsabfolge gerade an der Reihe wäre, nach Murphy‘s Law natürlich gerade am anderen Ende der Treiberkette und schnell vergessen, wo denn nun eigentlich die Sasse des Flüchtenden war. Mit einem Wärmebildgerät ausgestattet sind die haarigen Lauftreffpartner schon von Weitem in der Sasse zu entdecken und somit gezielt mit dem richtigen Hund angehen – perfekt, schnell und hilfreich!

Oder aber beim Rehwildansitz: wie oft habe ich Stücke schon lange, lange beobachten können, bevor ich sie wirklich auch konventionell sehen konnte. Es ist immer wieder erstaunlich, wie lange sich Rehwild manchmal vor dem Austreten still und heimlich am Waldrand aufhält bevor es endlich ins Freie tritt – oder einfach wieder den Rückzug antritt, was ich früher nie mitbekommen hätte.

Auch das Angehen an Sitze kann ich nun unauffälliger gestalten, weil ich „störende Rehe“ auf meinen Hinweg, egal ob frühmorgens im Dunkeln oder am hellen Nachmittag, oft entdecke, bevor sie eben mich entdeckt haben, und so entsprechend reagieren kann. Nach dem selben Prinzip wurden auch meine Schalenwild-Pirschen bei Tageslicht immens spannender und erfolgreicher: früher bekam ich die im Gegensatz zu Sauen meist deutlich leiseren und vorsichtigeren Wiederkäuer aller Art im Bestand entweder gar nicht mit oder erst, als schon alles zu spät war. Passagen, in denen nichts zu erblicken war, musste ich trotzdem mit höchster Vorsicht bewältigen und verlor dabei viel Zeit und Büchsenlicht, was ich später oft schmerzlich vermisst habe. Durch ein WBG bin ich nun in der Lage, Wild in meiner Umgebung selbst durch kleinste Bestandslücken zu entdecken und dadurch vorgewarnt zu sein. Auch, wenn ich durch den grünen Dschungel nicht gleich erkenne, was genau ich da vor mir habe, kann ich nun vorsichtig den Winkel verändern oder die Distanz verringern, ohne dass ich wie früher einfach mit der Tür ins Haus falle. Es ist übrigens höchst erstaunlich, wie viele Rehe, ob im Bett oder schlicht erstaunt verhoffend, man etwa bei der Nachtpirsch auf Sauen in wirklich geringsten Distanzen passiert -auch das hat man früher schlicht nie bemerkt, es sei denn natürlich, das Dunkel explodierte herzinfarktfördernd urplötzlich lauft schreckend und polternd direkt vor einem. Aber das machen eben bei Weiten nicht alle Rehe, viele lassen einen an sich unbemerkt mucksmäuschenstill vorbeilaufen!

Mucksmäuschenstill sind aber auch Sauen weit öfter, als man denkt, auch hier konnte ich viel dazu lernen. Insbesondere in Gefahrensituationen, wenn sie misstrauisch ist oder nach einem Schuss etwa, kann eine komplette Rotte, die eben noch fröhlich lärmend wie ein D-Zug durch den Wald brach, innerhalb einer Millisekunde auf Statuen- oder Katzenmodus umschalten, in wirklich beindruckender, vorher mir unbekannter Art und Weise. Bei Verdachtsmomenten, etwa einem Windhauch im Genick oder einem unerwarteten Geräusch, reicht oft ein harscher Grunzer der Lokführerin und alles erstarrt, als seien sie – Frohes Neues übrigens!- gerade in Blei gegossen worden. Manchmal reicht es sogar, wenn eben die Stammesälteste einfach nur ohne jeden Warnlaut, urplötzlich verhofft und alle Rottenmitglieder es ihr unverzüglich gleichtun. Sie warten dann darauf, dass der Unbekannte gegenüber den ersten Fehler macht, um dann entweder als Stampede in Sicherheit zu rasen oder sich klammheimlich auf leisen Sohlen zu empfehlen, auch das habe ich schon oft erlebt. Jetzt erlebt, denn in meiner Zeit vor einem WBG habe ich dies alles einfach nicht gesehen.

Auch nach einem Schuss explodiert eine Rotte zwar meist im ersten Moment, kann aber schon kurz darauf totenstill verhoffen, um die Lage zu sondieren. In Bayern oder Baden-Württemberg etwa, wo auf Antrag inzwischen auch Wärmebildzielhilfen zur Streckensteigerung eingesetzt werden dürfen, wird in genau diesen Situationen dann selektiv, zielsicher und effizient weitere, für die Bestandsreduzierung enorm wichtige Strecke gemacht – bei nur einmaliger Störung des Revieres.

Erst vor kurzem stießen wir beim Pirschen auf eine kleinere Rotte, eine Bache der 70-Kilo Klasse mit ihren etwa zenterschweren Nachkommen. Der erste Schuss meines Jagdazubis Jonas saß perfekt, eben ein solcher Zentner Wurstmaterial fiel einfach um. Der Rest der Rotte spritzte lediglich ein paar Meter links und rechts von dem Weg, den man gerade bearbeitet hatte, in die seitlichen Hecken – und erstarrte zur Salzsäule. Sicher 15, vielleicht auch 20 oder 25 Minuten herrschte auf beiden Seiten des Weges und bei uns atemlose Stille, wir alle verharrten in einer Art Beamtenmikado – wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Erst gegen Ende hin machten die Sauen teilweise winzige, wohlgesetzte Schrittchen, mit denen sie im Schneckentempo keine 15m vor uns leise durch die Dickung glitten wie ein Indianer-Einbaum auf dem Amazonas, es war wirklich beindruckend. Ihr einziges Pech war, dass wir durch unsere WBGe eben trotz des dichten Bewuchses jederzeit wussten, wo die Stücke, vor allem, dass sie überhaupt noch da waren, sonst hätten wir schon längst aufgegeben – und da sich die Rotte ja wieder vereinen wollte, musste irgendwann ein Teil von ihr wieder den ausreichend hellen Weg queren…

Ansitze oder Pirschen bleiben nun wirklich nie mehr ohne Anblick, auch, wenn er vielleicht nicht immer jagdlich ist. Irgendetwas gibt es immer zu beobachten, und sei es nur der Kampf der Titanen unter den Waldmäusen, wenn es um Maiskörner an der Kirrung geht. Im November gab ich einem alten Jagdfreund ein WBG mit. Für den über 80-Jährigen, dem ich jagdlich sehr viel zu verdanken habe, eröffnete sich plötzlich eine wirklich völlig neue Welt. Vor ein paar Jahren hatte er altersbedingt sein wunderschönes Taunusrevier abgeben müssen, zwangsweise war seine Passion dadurch etwas eingeschlafen. Nun aber hatte ich ihm in der Nähe eine Jagdgelegenheit verschaffen können – und eben neue Augen. Für die neue Gelegenheit lernte er sogar, mit seinem Handy am regen WhattsApp-Verkehr unserer Jagdgruppe teilzunehmen. Seine neuen Augen entflammten seine Jagdleidenschaft dermaßen neu, dass er anfing - kein Witz-, sich händeringend Symptome und Diagnosen schwerer Gesundheitseinschränkungen einfallen zu lassen, um sich um einen schon längst gebuchten Weihnachtsurlaub samt Eheweib auf den Malediven zu drücken – den Kampf verlor er aber, zu seinem großen Ärger musste er mit in die Sonne der Palmeninseln fliegen statt in der Kälte und Dunkelheit sitzen zu dürfen. Wir haben schon eine nicht ganz allgemeinverständliche Passion, fürchte ich.

Jedenfalls aber war Paule Feuer und Flamme. Anfangs stellte er sich stundenlang einfach irgendwo ins Feld, um sich mit der Technik vertraut zu machen und zu beobachten. Einmal beschwerte er sich, dass er überhaupt nicht mehr mit dem Gerät zurecht käme, er sähe schlicht gar nichts. Trotzdem aber harrte er mehrere Stunden aus, bis endlich einer von uns Zeit hatte, sich seines Problems anzunehmen – vielleicht hätte ich ihm sagen sollen, dass man mit einem WBG nicht durch Autoscheiben schauen kann… Sekunden später jedenfalls hellte sich sein Blick wieder gewaltig auf, er verlängerte sein Gerätetraining um weitere Stunden und beobachtete unter anderem voller Passion auf 600m Rotwild im Nachbarrevier.

Ein paar Tage später saß er wiederholt an einer großen Schwarzdornhecke auf Füchse. Über sein neugewonnenes Kommunikationsmittel WhattsApp ließ er uns wissen, dass hier keine Füchse zu erwarten seien, da es hier vor Kaninchen nur so wimmele. Wir waren ratlos – Kaninchen gab es in diesem Revier überhaupt keine. Hasen durchaus, aber definitiv keine „20-30“, wie wir lesen konnten. Über mehrere Tage rätselten und rätselten wir – bis zur Lösung: Paule hatte der neuen Technik schlicht nicht zugetraut, auch auf über 50m noch jede MAUS (!) anzuzeigen. Wieder hellte sich sein Gesicht auf, dieses Mal mit dem belustigten Zusatz, dass man damit nun wirklich nicht rechnen könne – und dass die auch noch alle weiß seien! Gerade gestern kam er übrigens von seinem Zwangsurlaub zurück, er wird aufholen wollen die nächsten Tage…

Spaßig waren auch immer wieder die Beobachtungen von Waschbären, die wir bei schlechtem WBG-Wetter, also nach stundenlangem Regen, auf weite Entfernungen urplötzlich wie Pantomimen eine unsichtbare Leiter hinaufsteigen sahen, weil ihr dünnes, regennasses Bäumchen auf diese großen Distanzen zunächst so nicht erkennbar war. Oder aber welche, die aus Kanzeln herausschauten, als würden sie selbst ansitzen. Und natürlich die, die keine 1,5m entfernt nachts in einzeln stehenden Pflaumenbäumen schmausten und notgedrungen der festen Überzeugung waren, mit der „Ich bin ein Ast!“-Methode ungesehen zu bleiben – von wegen.

Interessant waren beispielsweise auch die in aller Schärfe und auf große Distanz deutlich zu beobachtenden Ranztanzereien eines hormongesteuerten Fuchsrüden, der mit verblüffendem Hüftschwung und beeindruckenden Moves versuchte, seine Angebetete zu becircen – eine seltsame Wahl, denn diese wiederum stellte sich als hüftsteife, arrogante und ignorante Zicke heraus. Ein fast eine Stunde andauerndes Ritual jedenfalls, dass mich an frühere Disco-Beobachtungen in meiner weit entfernten Jugendzeit erinnerte, vieles davon war regelrecht menschlich. Man konnte sich jederzeit einen leicht angeheiterten, enthemmten Dorfgigolo vorstellen, der auch nach Stunden noch nicht verstanden hatte, dass er nicht ganz den Ansprüchen seines nüchternen, intellektuell leicht überlegenen Gegenübers nicht so wirklich gerecht werden konnte.

Nicht zu vergessen sind aber natürlich auch Sicherheitsaspekte: Nicht nur, dass z. B. ein möglicher Schusshintergrund in einer Art abgesichert werden kann, an die so kein anderes optisches System auch nur im Entferntesten herankommt. Auch ungebetene Gäste und Neugierige am eigenen, für den Ansitz abgestellten Auto, am Hochsitz, dem Pirschpfad oder der Jagdhütte sind sofort zu entdecken. Und halten einen anschließend übrigens für eine Art optischen Gott, wenn man im Stockdunkeln schnurstracks auf ihr Versteck in den Büschen zuwandert und fragt, was denn nun ihr spätes Begehr sei.

Einer dieser ganz schlauen Kandidaten riss sich in letzter Sekunde die Hose an die Knöchel und gab an, er habe sich -warum auch immer nachts um 2 und 400m vom letzten Haus entfernt…- schnell mal lösen müssen und sei gerade fertig geworden. Er war ziemlich verdattert, als ich mich mit meinem WBG wortlos umschaute und ihm dann bekannt gab, dass mein „Schei..—Detektor“ keine Hinterlassenschaften entdecken könne, ob er nicht vielleicht doch noch eine andere, glaubhaftere Ausrede parat habe. In den meisten Fällen sieht man solche Kandidaten dann das letzte Mal des Nächtens im Revier.

Schön war auch, als wir auf der Heimfahrt von der Nachtjagd einmal mitten auf der Straße einen Halbnackten entdeckten, der einen „leicht“ irren Blick hatte und wild mit einem Schwert (!) in der Luft herumfuchtelte. In Zeiten, in den Schwert- und Axtschlachtungen inzwischen leider zu einem normalen Bild auf deutschen Straßen geworden sind, hielten wir es für besser, die Polizei zu informieren, leider allerdings erst nach ein paar Sekunden verblüffter Diskussion und ein paar Kilometer zu spät – natürlich war unser Patient bis zur Rückkehr an den Ort des Geschehens und später dann dem Erscheinen der Streife in irgendeiner Seitengasse verschwunden. Diese wiederum freute sich dann wie Kinder, als wir ihr unsere WBG zur Suche anboten, blitzartig war der eigentliche Grund ihres Einsatzes vergessen. „Wow! Das is ja irre! Warum haben wir sowas nicht? Ist das überhaupt erlaubt? Was kostet sowas? Verkaufen Sie die Dinger auch?“ stürzten sie mit Fragen auf mich ein, mit Mühe und Not bekam ich mein Gerät überhaupt erst wieder zurück.

Die Liste solcher Geschichtchen ließe sich endlos fortsetzen, jeder hat schon mal Ähnliches erlebt. WBGe sind jagdlich völlig zu Recht nicht mehr aus der Ausrüstung von vielen, vielen wegzudenken. Sie bringen aber eben nicht nur einen Haufen Erkenntnisse und Erlebnisse, sondern auch einen gewaltigen Zuwachs an Sicherheit und - schlicht Spaß. Ich wünsche den Lesern neben natürlich Waidmannsheil auch davon viel in einem gesunden Jahr 2020!


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