Warum auch immer denke ich in dieser schier unendlich lange Sekunde an eine Szene aus dem Aschenbrödel-Film: Sie steht an der Freitreppe vor dem Palast am Tanzabend und sinniert darüber, ob sie rein gehen soll oder nicht… Mach ich’s, mach ich’s nicht, mach ich’s, mach ich’s nicht… Mein Schuß bricht. Das Stück springt krachend über den Graben in den Wald, kommt im Bogen zurück auf die Wiese, taumelt und bricht zusammen. Auch ich breche zusammen, denn mein Stuhl verabschiedet sich in diesem Moment unter meinem Allerwertesten. Voller Adrenalin schnelle ich in atemberaubender Geschwindigkeit wieder empor wie ein Phönix aus der Asche, meinen Pulsschlag spüre ich noch immer bis in die Wimpern. Durch mein Zielfernrohr sehe ich überhaupt nichts mehr. Ich spüre das Vibrieren des Handys in meiner Tasche. Vati. „Was hast du beschossen?“

Und da waren sie wieder, meine Selbstzweifel. Hättest du unbedingt schießen müssen, bist du gut abgekommen, liegt das Stück und wenn ja, warum siehst du es nicht? Mein Handy brummt erneut. Vati. „Soll ich kommen?“ Er kennt mich einfach in und auswendig und spürt meine Ängste. „JA“ antworte ich ihm und nichts hält mich mehr auf dem Sitz. Die Tränen rollen langsam über meine Wangen. Ich wollte doch so gern alles gut machen. Hatte ich meine Fähigkeiten überschätzt und war zu übermütig? Hätte ich es doch besser lassen sollen? Aber ich war doch gut abgekommen… Aus meinen verquollenen Augen sehe ich die Taschenlampe von Philipp in meine Richtung leuchten. Und dann sehe ich den Damspießer auf der Wiese. Die totale Anspannung entledigt sich und ich muss mich hinhocken. Mein allerliebster Mann springt auf mich zu und hüpft wie Rumpelstilzchen. Wir liegen uns in den Armen, er flüstert, wie stolz er auf mich sei. Der Schuss saß perfekt und umso mehr freue ich mich über mein erstes Stück Damwild und das auch noch (fast) zu Hause.


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