Die Wildfolgevereinbarung – mitunter sträflich vernachlässigt
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Die Wildfolgevereinbarung – mitunter sträflich vernachlässigt

Text Sandra E. Pappert

Der heutige Beitrag soll aufzeigen, wie wichtig es ist, der gesetzlichen Forderung nach dem Abschluss einer Wildfolgevereinbarung zu entsprechen. Nicht nur, um Fragen der Aneignung von angeschossenem Wild im Wege der Nachsuche resp. Wildfolge zu klären, sondern vor allem im Sinne des Tierschutzes. Im Klartext: Wer hat das Recht am Wildbret, der Trophäe? Der Jäger aus dem Ursprungsjagdbezirk oder derjenige aus dem Folgejagdbezirk, in welches das Wild eingewechselt und letztlich zur Strecke gekommen ist.

Mirko und Holger sind jeweils Revierpächter einer Eigenjagd. Von dem Abschluss einer sog. Wildfolgevereinbarung haben sie bislang stets abgesehen, schließlich kennt man sich seit vielen Jahren.

Aber dann kam es wie es kommen musste: Falk, der Sohn von Holger beschoss ein Wildschwein im Jagdbezirk seines Vaters. Das Wildschwein verendete nicht sofort, obwohl es nach Ansicht von Falk tödlich getroffen worden war. Am darauffolgenden Morgen wurde ein anerkannter Schweißhundeführer hinzugezogen. Dieser führte mit Jan, dem weiteren Sohn von Holger, der ebenfalls Mitpächter des Reviers ist, die Nachsuche durch. Als die Nachsuche stattfand, waren sich alle Beteiligten einig, dass das Wildschwein sicherlich verendet ordnungsgemäß aufgefunden werde. Das Wildschwein wurde schließlich auch im Jagdrevier von Mirko tot aufgefunden. Das Tier hatte zuvor noch einen weiteren Jagdbezirk durchquert. Der Schweißhundeführer und Jan zogen Mirko hinzu. Gemeinsam wurde das Wildschwein in Augenschein genommen. Nachdem es zu Meinungsverschiedenheiten gekommen war, wem das Wildschwein zustehe, nahm zuerst Jan das Wildschwein an sich und brachte es in eine Kühlung. Später meldete sich jedoch Mirko und beanspruchte das Wildschwein für sich, woraufhin Holger das Wildschwein schließlich herausgab. Holger gab Mirko jedoch unmissverständlich zu verstehen, dass das Wildschwein ihm gehöre.

Weil sich Mirko und Holger nicht einig wurden, beauftragte Holger einen Rechtsanwalt mit der Verfolgung der Angelegenheit. Holger forderte Mirko auf, an ihn Wertersatz in Höhe von 150,00 € zu zahlen, was bei einem geschätzten Gewicht von 50 kg und einem Kilopreis von 3,00 € marktangemessen war. Holger meinte, dass ihm nach dem Landesrecht das Wildbret zustünde und beruft sich auf § 27 Abs. 4 NJagdG.

(4) 1 Kommt krankgeschossenes Wild im Nachbarjagdbezirk zur Strecke, so stehen das Wildbret und die Trophäen abweichend von § 1 Abs. 1 und 5 des Bundesjagdgesetzes dem Jagdausübungsberechtigten des Jagdbezirks zu, in dem das Wild krankgeschossen worden ist, es sei denn, die Nachsuche wurde endgültig aufgegeben. 2 In den Fällen des Satzes 1 ist das Wild abweichend von § 25 Abs. 6 auf den Abschussplan des Jagdbezirks anzurechnen, in dem das Wild krankgeschossen worden ist, und auch in die Abschussliste dieses Jagdbezirks einzutragen.

Mirko hingegen beurteilte dies völlig anders und beruft sich auf § 1 Abs. 1 und 5 Bundesjagdgesetz (BJagdG).

§ 1 Abs. 1 BJagdG besagt:

„(…) Das Jagdrecht ist die ausschließliche Befugnis, auf einem bestimmten Gebiet wildlebende Tiere, die dem Jagdrecht unterliegen, (Wild) zu hegen, auf sie die Jagd auszuüben und sie sich anzueignen. Mit dem Jagdrecht ist die Pflicht zur Hege verbunden. (…)“

§ 1 Abs. 5 BJagdG

(…) Das Recht zur Aneignung von Wild umfasst auch die ausschließliche Befugnis, krankes oder verendetes Wild, Fallwild und Abwurfstangen sowie die Eier von Federwild sich anzueignen. (…)“

Mirko beruft sich auf die Vorschrift des § 11 Abs. 1 BJagdG

„(…) Die Ausübung des Jagdrechts in seiner Gesamtheit kann an Dritte verpachtet werden. Ein Teil des Jagdausübungsrechts kann nicht Gegenstand eines Jagdpachtvertrages sein; jedoch kann sich der Verpächter einen Teil der Jagdnutzung, der sich auf bestimmtes Wild bezieht, vorbehalten. (…)“ und meint, dass, betrachtet man o. g. Vorschrift genauer, so gestatte diese ihm das Recht zur Aneignung allein als dem zur Ausübung des Jagdrechts berechtigten Jagdpächter des Reviers, in welchem das beschossene Wildschwein gefunden worden ist. Dem stehe auch nicht § 27 Abs. 4 NJagdG entgegen.

„(…) Kommt krankgeschossenes Wild im Nachbarjagdbezirk zur Strecke, so stehen das Wildbret und die Trophäen abweichend von § 1 Abs. 1 und 5 des Bundesjagdgesetzes dem Jagdausübungsberechtigten des Jagdbezirks zu, in dem das Wild krankgeschossen worden ist, es sei denn, die Nachsuche wurde endgültig aufgegeben. (…)“

Schließlich breche doch Bundesrecht, Landesrecht. Das hat er jedenfalls mal so gelernt.

Holger lässt u.a. intervenieren und vortragen, dass § 27 Abs. 4 NJagdG voraussetze, dass der Schütze das krankgeschossene Wild zur Strecke gebracht habe. Da das Wildschwein, als es bei der Nachsuche aufgefunden wurde, aber schon tot war, lägen die Voraussetzungen des § 27 Abs. 4 NJagdG bereits nicht vor. Holger erwartet aufgeregt das Urteil des Amtsgericht Bremen. Nicht, dass es ihm dabei vordergründig auf die Bezahlung des Wertersatzes ankäme. Nein, ihn interessiert vor allem die rechtliche Klärung der Frage, wem eigentlich das nachgesuchte Wildschwein, dass in seinem Revier beschossen, und in Mirkos Revier zum Erliegen gekommen ist, ohne Wildfolgevereinbarung zusteht.

Das zuständige Amtsgericht Bremen, Urteil v. 30.09.2010, Az. 16 C 91/10, wies die Klage zu Ungunsten von Holger ab. Zur Begründung führte es aus: Holger stehe ein Anspruch auf Wertersatz aus ungerechtfertigter Bereicherung nicht zu, da die Herausgabe des Wildschweines an Mirko nicht rechtsgrundlos erfolgt sei. Vielmehr war Mirko nach § 1 Abs. BJAGDG § 1 Absatz 1 S. 1 und Abs. 5 BJagdG zur Aneignung berechtigt gewesen.

Das Amtsgericht Bremen führte insoweit aus:

(…) ist das Jagdrecht die ausschließliche Befugnis, auf einem bestimmten Gebiet wildlebende Tiere, die dem Jagdrecht unterliegen (Wild), zu hegen, auf sie die Jagd auszuüben und sie sich anzueignen (§ 1 Abs. § 1 Absatz 1 S. 1 BJagdG). Das Recht zur Aneignung von Wild umfasst auch die ausschließliche Befugnis, krankes oder verendetes Wild, Fallwild und Abwurfstangen sowie die Eier von Federwild sich anzueignen (§ 1 Abs. BJAGDG § 1 Absatz 5 BJagdG). (…)“

Diese Voraussetzungen seien nach Ansicht des Gerichts zweifelsohne erfüllt worden, weil Mirko der Jagdrechtsinhaber des Folgereviers, auf dem das Wildschwein verendet ist, war.

Etwas Anderes ergäbe sich auch nicht aus § 27 Abs. 4 NJagdG.

Nach dieser Vorschrift stehen das Wildbret und die Trophäen abweichend von § 1 Abs. BJagdG § 1 Absatz 1 und § 1 Absatz 5 des BJagdG dem Jagdausübungsberechtigten des Jagdbezirks zu, in dem das Wild krankgeschossen worden ist, wenn krankgeschossenes Wild im Nachbarbezirk zur Strecke kommt, es sei denn, die Nachsuche wurde endgültig aufgegeben.

„(…) Die Auslegung des § 27 Absatz 4 NJagdG ist umstritten. Bei dem Streit geht es insbesondere um die Bedeutung der Formulierung „Kommt krankgeschossenes Wild im Nachbarbezirk zur Strecke, (...)“. Diese Formulierung lässt offen, auf welche Weise das Wild zur Strecke kommt. Gleichwohl wird darunter zum Teil ein aktives „zur Strecke bringen“ durch einen im Rahmen der Nachsuche erforderlichen Fangschuss verstanden (…)“ Dieser Auslegung ist das Niedersächsische Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz und Landesentwicklung (…) entgegengetreten. Es wird die Rechtsauffassung mitgeteilt, dass „zur Strecke kommen“ im Sinne des § 27 Absatz 4 NJagdG nicht bedeute, dass noch ein Fangschuss abgegeben werden müsse. (…)“

Nach der hier vertretenen Auffassung erfordert ein Anspruch aus § 27 Absatz 4 S. 1 NJagdG zumindest, dass neben dem zur Strecke kommen des Wildes die Voraussetzungen des § 27 Abs. 2 S. 1 für eine sofortige Nachsuche erfüllt sind, wobei es aber nicht darauf ankommt, ob ein Fangschuss im Einzelfall durchgeführt wird oder nicht.

Den Schlussfolgerungen lägen folgende Erwägungen zugrunde:

Der Zweck der Wildfolge dient vorwiegend dem Tierschutz.

„(…) Auf dem eigenen Revier ist der Jagdausübungsberechtigte nicht nur zur Nachsuche berechtigt, sondern auch verpflichtet. Nachsuche ist das gezielte Verfolgen kranken oder krankgeschossenen Wildes. Die Nachsuche endet aber an der Grenze des eigenen Jagdreviers. Eine weitere Verfolgung des Wildes stellt eine strafbare Jagdwilderei dar. Um aber dem Tierschutz Rechnung zu tragen, hat der Bundesgesetzgeber in § BJAGDG § 22 a BJagdG den Landesgesetzgebern aufgegeben, nähere Regelungen zur Wildfolge zu treffen. (Marcus Schuck, Bundesjagdgesetz, 2010, § 22 a, Rn. 9). (…)“

Und weiter:

„(…) Wildfolge ist die Verfolgung krankgeschossenen und schwerkranken Wildes über die Grenzen der einzelnen Jagdbezirke hinweg (…) Da die Wildfolge aber per se eine Abweichung von dem in § BJAGDG § 1 Abs. BJAGDG § 1 Absatz 1 BJagdG konstatierten Revierprinzips darstellt, sie insoweit also von dem Bundesrecht abweicht, sind die Regelungen zwingend im Sinne der Ermächtigungsnorm - namentlich des Tierschutzes - auszulegen. (…)“

„(…) Vor diesem Hintergrund könne die Norm aber nur so verstanden werden, dass ein Aneignungsrecht für den Fall in Aussicht gestellt wird, dass eine Nachfolge durch den Schützen selbst über die Reviergrenze hinweg aus Gründen des Tierschutzes erforderlich ist und die Nachsuche nicht endgültig aufgegeben worden ist. Dies impliziert, dass eine Nachsuche im Nachbarbezirk stattgefunden haben muss. Dass es sich dabei auch um eine Nachsuche durch den Schützen, der nun das Wild beansprucht, und nicht durch den Jagdnachbarn oder eine sonstige dritte Person handeln muss, ergibt sich zwar nicht eindeutig aus dem Wortlaut der Vorschrift, liegt aber auf der Hand. (…)“

Im Sinne des Tierschutzes könne sich ein Aneignungsrecht nur dann ergeben, wenn der Schütze auch tatsächlich zur Nachfolge in dem fremden Jagdbezirk berechtigt war.

Nach alledem kommt das Gericht zu der eingangs dargestellten Auffassung, dass dem Schützen das Aneignungsrecht nur dann zusteht, wenn ausnahmsweise eine sofortige Nachsuche nach § 27 Absatz 2 S. 1 NJagdG erforderlich ist.

Auch setze das Recht aus § 27 Absatz 4 S. 1 NJagdG nicht zwingend den Bedarf eines Fangschusses nach § 27 Absatz 2 S. 1 NJagdG voraus.

Das Gericht führte insoweit aus:

In dem Zeitpunkt, in dem sich der Jäger entschließt, eine beschwerliche Nachsuche auch bei Wechsel des Wildes in einen fremden Jagdbezirk fortzusetzen, kann er noch nicht abschätzen, ob die Nachfolge dazu führen wird, dass ein Fangschuss erforderlich ist. Vielmehr hängt es dann vom Zufall ab, ob das Wild mit oder ohne sein Zutun zur Strecke kommt. Gerade in diesem Zeitpunkt wirkt sich der Anreiz des Aneignungsrechts aus § 27 S. 1 NJagdG aber auf seine Entscheidung aus. Es kommt daher nur darauf an, dass er mit Beginn der Nachfolge davon ausgehen durfte, eine sofortige Nachsuche sei aus Gründen des Tierschutzes deswegen erforderlich, weil er das Wild möglicherweise zu erlegen und zu versorgen habe, um es vor vermeidbaren Schmerzen zu bewahren.(…)“ Nach dieser Auslegung scheidet ein Aneignungsrecht von Holger aus, denn die Nachsuche am folgenden Morgen stellt keine sofortige Nachsuche mehr im Sinne des § 27 Abs. 2 S. 1 NJagdG dar.


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