Ein weiteres Beispiel ist die Nilgans. Sie steht momentan nicht auf der Unionsliste der invasiven Arten, wird aber bereits als potentiell invasiv eingestuft. Die Nilgans stammt ursprünglich aus Afrika und wurde wegen ihrer auffälligen Färbung gerne als Ziervogel in Parks und Zoos gehalten. Von dort hat sie sich vermutlich seit den 1960er Jahren ausgebreitet, denn sie ist als Generalist sehr anpassungsfähig und kommt im Gegensatz zu Spezialisten sehr gut mit unterschiedlichen Lebensbedingungen klar. Heute ist sie in 11 europäischen Ländern vertreten und bereitet dort zum Teil große Probleme. Nilgänse zeigen anderen Vögeln gegenüber häufig ein sehr aggressives Verhalten. In den Niederlanden und in Belgien gibt es vereinzelt Nachweise, dass dadurch die Anzahl an anderen Wasservögeln gesunken ist. Auch andere Vogelarten scheinen durch die Anwesenheit der Nilgans negativ beeinflusst. Sie konkurrieren um Lebensraum, Nahrung und Paarungspartner, wobei unsere heimischen Arten oft den Kürzeren ziehen. So kommt es immer wieder vor, dass sich Nilgänse auch mit anderen Arten verpaaren, sowohl mit anderen Gänsen als auch mit Enten. Die Hybride (Nachkommen) sind in der Regel nicht fertil, das heißt, sie können sich selbst nicht weiter fortpflanzen. Dennoch kann dies ungeahnte Folgen für die genetische Vielfalt haben.

Ein weiterer bedeutender Aspekt setzt sich aus der Aggressivität und der Anpassungsfähigkeit an Brutplätze zusammen. Die Nilgans brütet nämlich sowohl am Boden als auch auf Bäumen. Dabei nutzt sie häufig die Nester von Greifvögeln. Da Nilgänse bereits im Februar brüten, hat schon so mancher Rotmilan nach der Rückkehr aus dem Überwinterungsgebiet seinen Horst bereits besetzt vorgefunden. Viele Nester sind folglich schon belegt, bevor die Brutperiode unserer heimischen Vögel beginnt. Die Gefahr der Übertragung von Krankheiten ist ebenfalls zu bedenken. Auch in der Landwirtschaft können Nilgänse durch Fraß, Zertreten der Vegetation und durch ihre Hinterlassenschaften Schäden verursachen. In einigen Teilen Deutschlands darf auch eine Bejagung stattfinden, allerdings ergibt sich auch hier wieder das Problem mit der Akzeptanz in der Bevölkerung. Wo Nilgänse noch selten sind, sind sie ein begehrtes Ziel für Vogelbeobachter und wer nicht direkt von den Auswirkungen betroffen ist, kann die vielen Bedenken hinsichtlich der Ausbreitung oft nicht verstehen. Dennoch ist es wichtig, hier jetzt aktiv zu werden, Aufklärung zu betreiben und Managementmaßnahmen durchzuführen, bevor größere, irreparable Schäden für ganze Ökosysteme entstehen.

Beide genannten Beispiele umreißen nur grob die Problematik. Im Detail sind viele Auswirkungen, wie bereits erwähnt, noch nicht bekannt. Und das trifft auf alle gebietsfremden Arten zu. Daher muss hier ein verstärktes Monitoring erfolgen, das möglichst an der Stufe ansetzt, an der die Arten noch nicht invasiv sind. Denn dort stehen die Chancen besser, durch gezieltes Management Probleme in den Griff zu bekommen. Den richtigen Zeitpunkt abzupassen, gestaltet sich dabei allerdings ebenfalls sehr kompliziert. Durch den Klimawandel werden sich die Verbreitungsareale vieler Arten verschieben, im Zuge der Globalisierung werden weitere Arten eingeschleppt. Wir können die Uhr nicht zurück drehen, auch wir müssen adaptieren und unser Handeln anpassen. Ökosysteme leben von Dynamik. Wir müssen versuchen diese Dynamiken und die beteiligten Prozesse und Interaktionen zu verstehen, dann können wir Managementstrategien entwickeln und umsetzen, monitoren und verbessern. Und vielleicht gelingt es uns dann doch den Biodiversitätsverlust zumindest ein bisschen abzuschwächen – es wäre uns allen zu wünschen.

Foto: Daniel Kocherscheidt / pixelio.de


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